Jeder zweite Personalverantwortliche in Deutschland sucht im Internet nach Informationen über Bewerber, hat eine BITKOM-Umfrage ergeben. Der Gesetzgeber hat zwar vor, dies durch Verbote einzuschränken, doch dürfte sich das in der Praxis nicht überprüfen lassen. Der Verband rät Bewerbern deshalb zur Imagepflege in eigener Sache.
49 Prozent der Unternehmen in Deutschland suchen im Internet Informationen zu Menschen, die sich bei ihnen bewerben, meldet der Hightech-Verband BITKOM diese Woche mit Verweis auf eine repräsentative Umfrage unter 1.504 Geschäftsführern und Personalchefs. „Das Internet ist für Firmen eine wichtige zusätzliche Informationsquelle geworden, um sich ein Bild über einen potenziellen Mitarbeiter zu machen“, sagte BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. „Bewerber sollten dafür sorgen, dass im Internet vorteilhafte Angaben, Äußerungen oder Fotos über sie zu finden sind.“
Der Umfrage zufolge kommen bei der Recherche vor allem bekannte Internetsuchmaschinen wie Google und Bing zum Einsatz, aber auch spezielle Personensuchmaschinen. Insgesamt nutzen 45 Prozent der Befragten Suchmaschinen, um zusätzliche Informationen zu Bewerbern zu gewinnen. Mit 21 Prozent zweitwichtigste Informationsquelle sind Soziale Netzwerke mit beruflichem Schwerpunkt wie XING und LinkedIn. 17 Prozent setzen zur Informationsgewinnung aber auch Social Networks mit eher privatem Charakter wie studiVZ und Facebook ein.
Letzteres ist bislang rechtlich unproblematisch, aber die Bundesregierung will dies per Gesetz verbieten. Recherchen zu Bewerbern sollen nur noch in Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken mit eindeutig beruflichem Charakter erlaubt sein. „Die Recherche in privaten Online-Netzwerken durch Personaler ist in der Praxis kaum zu überprüfen, zumal sich der berufliche oder private Charakter vieler Netzwerke nicht klar abgrenzen lässt“, sagte Scheer. Das Gesetz gebe in Zukunft aber klar vor, dass Online-Suchen im privaten Umfeld eines Bewerbers zu unterbleiben haben.
Das ist so verstörend weltfremd, dass es schwer fällt, dazu etwas Vernünftiges zu schreiben. Ich möchte mich auch gar nicht wiederholen, sondern auf meinen Artikel „Warum Arbeits- und Privatleben im Social Web kaum zu trennen sind“ aus dem vorigen Monat verweisen. Deshalb hier ganz kurz: Vorhandene Informationen werden auch genutzt! Und gerade Suchmaschinen führen einen Personalverantwortlichen schnell zu Seiten, die er (sollte das Gesetzesvorhaben so umgesetzt werden) gar nicht hätte besuchen dürfen.
Als Fan amerikanischer TV-Serien drängen sich bei mir in diesem Zusammenhang immer wieder Szenen aus Gerichtsverhandlungen auf: Ein Anwalt trägt Informationen vor, der Anwalt der Gegenseite ruft Einspruch!, weil es sich angeblich um irrelevante Informationen handelt, mit der die Geschworenen unerlaubter Weise beeinflusst werden sollen. Oft gibt der Richter diesem Einspruch statt und weist die Geschworenen daraufhin an, die gerade gehörte Information bei ihrer Urteilsfindung nicht zu berücksichtigen.
Da man diese Informationen aus den Köpfen der Geschworenen nicht zu löschen vermag, kann diese richterliche Anweisung nicht viel mehr als ein frommer Wunsch bleiben. Wenn wir etwas über einen anderen Menschen wissen, beeinflusst das in jedem Fall unser Urteil über ihn, im Guten wie im Schlechten. Das kann uns allen natürlich ebenso als Warnung dienen, dass jede über uns im Netz verfügbare Information gegen uns verwendet werden kann. Wenn nicht heute, dann in fünf, zehn oder 50 Jahren.
Begreift man sämtliche seiner Online-Aktivitäten als fortlaufende Ergänzungen zur eigenen digitalen Bewerbungsmappe, müsste die Konsequenz wohl lauten: Schafft Social Media komplett ab! Man sollte sämtliche Informationen über die eigene Person unter Verschluss halten. Und man sollte dabei konsequent sein: Fotos von sich auf der Teamseite einer Unternehmenswebsite etwa bieten zu viele Ansatzpunkte für Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, Attraktivität, Gesundheitszustand, ethnischer Zugehörigkeit etc. Selbst der Name alleine birgt noch genug Negativ-Protenzial. Deshalb sollte man darauf achten, im Internet nicht zu existieren und unauffällig ohne öffentliche Äußerungen hinter seiner verpixelten Hausfassade leben.
Natürlich ist das nicht mein Lösungsansatz. Ich verrate im Internet sogar meine vollständige Wohnanschrift. Als Blogger habe ich da wegen der gesetzlichen Vorgaben in Deutschland (Impressumspflicht) keine Wahl. Aber auch vorher habe ich mich nicht gescheut, meinen Namen und meine Telefonnummer für jeden öffentlich verfügbar und in millionenfacher Auflage verbreiten zu lassen, denn ich stand im Telefonbuch. Würde das Telefonbuch heute erfunden, die Datenschützer würden es verbieten wollen.
Dem Zufall bzw. anderen zu überlassen, wie man im Netz in Erscheinung tritt, sollte man deshalb aber keinesfalls. „Jeder sollte wissen, was über ihn im Internet steht und er sollte dieses Bild bei Bedarf aktiv selbst gestalten“, rät BITKOM-Präsident Scheer. Der Verband geht das Thema pragmatisch an und gibt folgende vier Tipps:
1. Sich selbst suchen: Wer seinen Namen in Suchmaschinen eingibt, bekommt schnell einen Überblick, was über ihn im Web zu finden ist. Neben Google, Bing und Yahoo gibt es dafür spezielle Personensuchmaschinen wie Yasni oder 123People.
2. Eigene Präsenz aufbauen: Profile in Online-Netzwerken oder eine eigene Website erscheinen in den Ergebnislisten der Suchmaschinen in der Regel oben und bestimmen damit die Außenwirkung. Für das Anlegen eines persönlichen Profils eignen sich berufliche Online-Netzwerke wie Xing und LinkedIn sowie Jobportale wie Stepstone oder Monster.
3. Meinungen kontrolliert äußern: Wer sich im Internet in Blogs oder Foren mit kompetenten Beiträgen äußert, wird positiv wahrgenommen. Beleidigende Äußerungen sind dagegen ein Tabu. Wer sich privat zu Hobbys oder auch Krankheiten austauschen will, muss nicht seinen echten Namen nennen. Ein beliebiger Benutzername ist in der Netzgemeinde weithin akzeptiert.
4. Unvorteilhafte Fotos entfernen: Jeder Mensch hat ein Recht am eigenen Bild. Sollten andere Privatpersonen oder Betreiber von Webseiten unvorteilhafte Fotos von einem selbst veröffentlich haben, kann man die Entfernung aus dem Internet verlangen.
Jedem sollte bewusst sein: Im Internet verfügbare Informationen werden unser Leben lang für und gegen uns verwendet werden. Das Erschreckende an der BITKOM-Umfrage ist für mich jedoch, dass angeblich nur 49 Prozent der Unternehmen Recherchen zu Bewerbern im Internet durchführen. Haben die restlichen 51 Prozent niemanden gefunden, der ihnen das Internet ausdruckt? Stellt eine knappe Mehrheit von Unternehmen in Deutschland tatsächlich Menschen ein, ohne zumindest zehn Minuten in eine Google-Suche investiert zu haben?!
Ist das ein Ausdruck erschreckender Medieninkompetenz? Oder handelt es sich um Desinteresse? Ob im beruflichen oder privaten Bereich: Bevor man das erste Mal einem Menschen im „realen Leben“ begegnet, sollte man doch zumindest ein wenig im Internet recherchieren! Seid Ihr nicht beleidigt, wenn der andere in dieser Weise völlig unvorbereitet erscheint?
November 15th, 2010 at 12:42
@Haben die restlichen 51 Prozent niemanden gefunden, der ihnen das Internet ausdruckt?
Sehr gut! So kann man es natürlich auch sehen…ich denke, dass die Zahl der im Internet recherchierenden Unternehmen real auch deutlich über den 49% liegt. Ist halt kein Thema, mit denen schon alle Unternehmen offen umgehen…