Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass sich das Streaming von Musik allgemein durchsetzen würde. Ich streame seit dem Start von Napster in 2005. Es hat aber eine ganze Weile gedauert. Laut einer neuen Bitkom-Umfrage hören jetzt 50 Prozent der Internetuser in Deutschland Musik als Stream. In der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren sind es bereits 63 Prozent.
Vor fünf Jahren noch war Musikstreaming ein Nischenthema, nur 9 Prozent der Onliner streamten wenigstens hin und wieder Musik. Bereits 2014 sprang der Anteil der Streaming-User auf 32 Prozent. Das weitere Wachstum verlief wieder langsamer: 2015: 37 Prozent, 2016: 39 Prozent, 2017: 44 Prozent, 2018: 50 Prozent.
Spotify hat viel zu dieser Entwicklung beigetragen
Der Bitkom bringt diese Daten mit dem zehnjährigen Jubiläum von Spotify in Verbindung und erwähnt immerhin den sogar vor dem schwedischen Spotify gestarteten Konkurrenten Deezer aus Frankreich, der auf dem deutschen Markt ebenfalls einer der großen Player ist. „Spotify hat gezeigt, dass sich auch von Europa aus die weltweiten Digitalmärkte erobern lassen. Auch wir in Europa können digital“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „So wie sich die Art und Weise, wie viele Menschen Musik hören, grundsätzlich verändert hat, verändern digitale Plattformen wie Spotify unseren Alltag und schaffen gleichzeitig völlig neue Geschäftsmodelle.“
In das Lob für diese beiden Beispiele europäischer Unternehmen, die international erfolgreich sind, mischt sich beim Bitkom Kritik: Deutsche Unternehmen täten sich in der digitalen Plattformökonomie weiter schwer. In Unternehmen mit mindestens 20 Beschäftigen hat kaum jeder zweite (49 Prozent) Geschäftsführer bzw. Vorstand diesen Begriff überhaupt bereits gehört. Lediglich 12 Prozent geben an, derzeit eine digitale Plattform zu betreiben. Berg: „Wenn sich auch ein analoges Geschäft wie der Verkauf von Tonträgern erfolgreich digitalisieren lässt, sollten auch deutsche Unternehmen den Mut fassen und alle Möglichkeiten ausloten, solche Plattformen selbst aufzubauen oder wenigstens zu nutzen. Das Geschäft von morgen ist ausschließlich digital.“
Nicht alles ist in Zukunft digital
Ich bin zwar der Meinung, dass die mahnenden Stimmen noch viel lauter bzw. eindringlicher werden sollten. Die Aussage, dass das Geschäft von morgen ausschließlich digital sei, unterschreibe ich aber nicht. Nachher bei meinem Frisörtermin bekomme ich keinen digitalen Haarschnitt und anschließend kaufe ich beim Bäcker keine digitalen Brötchen. Deshalb kann ich auch nicht mit der digitalen U-Bahn hinfahren. Heute nicht und morgen nicht. Höchstens in einer fernen Zukunft von übermorgen, in dem ich mich selbst in die Cloud hochladen kann und meine analoge Existenz für immer endet.
Nicht alle Geschäfte werden morgen digital sein. Doch es wird keinen Lebensbereich mehr geben, in dem das Digitale keine Rolle spielt. Digitale Plattformen werden deshalb bald sehr viel mächtiger sein, als es sich die meisten Kritiker heute vorstellen können. Zwingend ist dieser Trend indes nicht: Statt oligopolistischer Strukturen mit wenigen (wenn überhaupt) Wettbewerbern in den einzelnen Märkten ist schließlich auch eine dezentrale Vernetzung auf Basis gemeinsamer Standards möglich. Dabei geht es um weit mehr als eine Begrenzung von Marktmacht und fairen Wettbewerb, es geht um die künftigen Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.