Einschalten, aber nicht genau hinsehen? So halten es immer mehr TV-Nutzer. Der große Bildschirm bleibt zwar die Nummer eins für Bewegtbildinhalte, doch in Deutschland beschäftigt sich einer von vier Zuschauern zeitweise mit einem anderen Display.
Zu jeder Zeit an jedem Ort Zugang zum Internet zu haben, ist 48 Prozent der Deutschen wichtig. Im europäischen Durchschnitt schätzen 66 Prozent diese Möglichkeit. Das sind Zahlen aus einer neuen Studie von Nielsen, die den unnötig reißerischen Titel „Screen Wars“ trägt. Die massiven Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sehgewohnheiten sind schließlich ein spannendes Thema. Was das angeht, sind die Deutschen nicht gerade Trendsetter, sondern eher Nachzügler.
„Die Medienlandschaft ist in ständiger Bewegung und der Verbraucher profitiert nicht nur von dem schnell wachsenden Markt, sondern auch von der hohen Konkurrenz“, sagt Ingo Schier, Geschäftsführer von Nielsen Deutschland. „Der Nutzer kann heute viel gezielter den für sie oder ihn passenden Content auswählen und aktiv interagieren. Die Art und Weise was, wo und wie Konsumenten heute im Allgemeinen Inhalte ansehen, hat sich über die letzten Jahre extrem gewandelt und sich den veränderten Möglichkeiten immer wieder neu angepasst. Heute muss ein Verbraucher nur noch das ansehen, was er auch wirklich sehen will.“
Großes Potenzial
Das wachsende Angebot führt zu stärkerer Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Derzeit mögen die Auswirkungen von Video-on-Demand-Diensten auf die deutschen TV-Sender überschaubar sein, die ganz große Mehrheit der Zuschauer entscheidet sich Abend für Abend für RTL, SAT.1, Das Erste, das ZDF … statt für maxdome, Netflix, WATCHEVER, Snap oder Amazon Instant Video. Laut Nielsen-Studie interessieren sich jedoch 46 Prozent der Befragten aus Deutschland für eine flexible Nutzung, weil diese besser in ihren Tagesablauf passt. 38 Prozent sehen sich häufig mehrere Folgen einer Serie hintereinander an. Das Potenzial für Angebote mit zeitlich flexibler Nutzung ist also heute bereits sehr groß.
Die Veranstalter linearer Fernsehprogramme können froh sein, dass viele Zuschauer ihnen aus Gewohnheit (vorerst) treu bleiben. Das oft angeführte Kostenargument ist bei näherer Betrachtung auch eher eine psychologische als eine finanzielle Hürde. Manche Video-Flatrates sind schließlich ab rund 4 Euro pro Monat erhältlich. Zudem bezahlen einige Verbraucher solche Flatrates an anderer Stelle mit, etwa weil sie Prime-Kunden bei Amazon sind oder sich bei Unitymedia für einen der besseren Kombitarife entschieden haben (und deshalb eine maxdome-Flatrate erhalten – ob sie wollen oder nicht). Da ist es bloß ein kleiner Schritt dahin, die ohnehin bezahlten Streamingdienste tatsächlich in Anspruch zu nehmen.
Fernseher bleibt favorisiertes Gerät
Keine Sorgen machen müssen sich hingegen die TV-Gerätehersteller, denn für Bewegtbildinhalte ist der Fernseher das favorisierte Endgerät. 85 Prozent der deutschen Konsumenten schauen sich Spielfilme am liebsten auf dem Fernseher an (europäischer Durchschnitt: 81 Prozent), bei Nachrichten sind es 82 Prozent (europäischer Durchschnitt: 80 Prozent), bei Dokumentationen 81 Prozent (europäischer Durchschnitt: 79 Prozent).
Eine Ausnahme bilden Videoclips, die lediglich 12 Prozent der deutschen Verbraucher lieber auf dem Fernseher als am Computer (51 Prozent), Mobiltelefon (17 Prozent) oder Tablet (17 Prozent) ansieht. Im europäischen Durchschnitt kommt der Fernseher auf 16 Prozent, Computer auf 61 Prozent, mobile Endgeräte auf 25 Prozent.
Vor dem Fernseher beschäftigen sich 26 Prozent der Deutschen auch mal mit anderen Bildschirmen, um das Internet zu nutzen. Im europäischen Durchschnitt sind es sogar 44 Prozent. Social-Media-Angebote sorgen insoweit für zusätzliche Anreize. 21 Prozent diskutieren Gesehenes über Soziale Netzwerke (europäischer Durchschnitt: 27 Prozent). 31 Prozent sehen sich bestimmte Sendungen an, um sich an den Social-Media-Unterhaltungen dazu beteiligen zu können (europäischer Durchschnitt: 36 Prozent). 17 Prozent bevorzugen TV-Sendungen mit Social-Media-Anbindung (europäischer Durchschnitt: 26 Prozent). Andererseits wollen 59 Prozent der Deutschen während des Fernsehens gar keine Social-Media-Dienste nutzen.
Fortschritt oder unnötige Ablenkung?
Meint Ihr, die deutschen Konsumenten hinken im europäischen Vergleich bei Second-Screen-Nutzung während des Fernsehens hinterher? Wenn ja, woran liegt das? Oder sind die Fernsehzuschauer hierzulande eventuell bloß vernünftiger bzw. wollen sich beim Fernsehgenuss einfach nicht ablenken lassen?
Ich gebe zu, dass ich gerne zum Tablet greife, wenn mir nicht gleich einfällt, wo ich einen Schauspieler schon mal gesehen habe. Und wenn ich einen Handlungsort geografisch nicht einordnen kann, frag ich halt („Ok, Google, wo liegt …?“). Das verstehe ich indes nicht als Ablenkung, sondern als Vertiefung.