Die „Tagessschau“ ist schon lange mehr als eine Nachrichtensendung der ARD. Im neuen Jahr soll eine App für das iPhone den Zugriff auf die Inhalte der Tagesschau noch ein Stückchen komfortabler gestalten. Überraschend heftig fällt die Kritik der Verlage aus, die zusammen mit ihren Verbänden gegen die App der „Tagesschau“ protestieren.
Erklären kann man sich das damit, dass einige Zeitschriftenverlage gerade erste Versuche mit kostenpflichtigen Apps laufen lassen, um neue Geschäftsmodelle gegen die Gratiskultur im Netz aufzubauen. „Damit drohe der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender, ein neues Geschäftsfeld der privatwirtschaftlich organisierten Presse bereits im Ansatz zu zerstören. Unverständnis äußerten die Zeitungsverleger über den Alleingang des Senders offenbar ohne Einbindung der Gremien. Vor diesem Hintergrund erwarte der BDZV einen Stopp aller weiteren Pläne für dieses neue Telemedienangebot“, schreibt der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger in einer Pressemitteilung.
Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) spart ebenfalls nicht mit Kritik. „Damit dehnt die gebührenfinanzierte ARD erneut ihren Auftrag zu Lasten der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger aus“, heißt es laut Pressetext in einem Brief von VDZ-Geschäftsführer Wolfgang Fürstner an Kulturstaatsminister Neumann und die Ministerpräsidenten der Länder, in denen er diese darum bittet, mit ihrem ganzen Einfluss dafür sorgen, dass sich die ARD auf ihren Grundversorgungsauftrag beschränkt.
Weiter heißt es in den Schreiben: „Kaum haben Verlage erste Bezahlmodelle entwickelt, um in einer für sie außerordentlich schwierigen Lage die journalistische Qualität weiter finanzieren zu können, drängt das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf dasselbe Feld; allerdings mit einem Gratisangebot, das den Markt auf hochproblematische Weise verzerrt.
Bekanntermaßen müssen die Zeitschriftenverlage eine existenzielle Umbruchphase bewältigen. Sie müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln und aufgrund der Einbrüche des Anzeigengeschäftes neue Finanzierungsquellen sichern. Genau diese Bemühungen werden durch die Bestrebungen der ARD tatsächlich erschwert.“
Erst im November habe die Bundeskanzlerin Schutz vor Marktverzerrungen zugesagt, wozu nicht nur Werbeverbote, sondern nach VDZ-Ansicht zudem gebührenfinanzierte Verdrängungsversuche zählen. „Die ARD würde mit ihrem Vorhaben auch ihren Kurs fortführen, jeden neuen Medienkanal jenseits des Fernsehens zu besetzen“, so Fürstner, der sogar juristische Schritte prüfen möchte.
Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) sowie einzelne Verlage kritisieren die ARD-Pläne ebenfalls heftig. Soweit es die App für das iPhone angeht, wirken die Reaktionen der Verleger maßlos überzogen. Inhalte der „Tagesschau“ sind schon lange kostenlos auf für mobile Geräte wie Handys optimierten Seiten im Netz verfügbar. Ob wap.tagesschau.de, tagesschau.de für PDAs oder tagesschau.de bei Vodafone live!, die Nachrichten der „Tagesschau“ sind bereits mobil auf verschiedene Weise zugänglich. Mit Services wie dailyme.tv lässt sich etwa die „Tagesschau in 100 Sekunden“ bequem für die Nutzung unterwegs abonnieren.
Auf dieser Schiene argumentiert auch der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust, der sein Unverständnis darüber äußerte, dass ein kleines Programm für das iPhone zu einer ganz anderen Wahrnehmung der langjährigen Aktivitäten führen solle. Den Kritikern gehe es wohl darum, die ARD von Entwicklungen im Netz abzukoppeln.
Diese Argumentation ist in sich schlüssig, aber dem ARD-Vorsitzenden dürfte schon klar sein, dass es um viel mehr geht und die öffentlich-rechtlichen Inhalte gerade für den privaten Qualitätsjournalismus immer mehr zur Konkurrenz werden. Es hat sich nämlich etwas verändert: Früher, als die Rundfunkanstalten nur Fernseh- und Hörfunkprogramme veranstalteten und die Zeitschriftenverleger nur bei den gedruckten Medien aktiv waren, gab es nicht diesen direkten Wettbewerb, der sich jetzt schrittweise verstärkt.
Im Internet müssen alle alles machen, weil das von Nutzern so erwartet wird. Die ehemalige Trennung der Mediengattungen löst sich immer weiter auf. Das wäre nur halb so schlimm und zumindest kein drängendes Problem, wären die Anzeigenerlöse infolge der Wirtschaftskrise nicht so stark eingebrochen und würde Print durch die im Internet gratis zugänglichen Inhalte (im Zusammenspiel mit niedrigen Preisen für Online-Werbung) nicht immer weiter unter Druck geraten. Oder gäbe es wenigstens bei den Internetnutzern eine höhere Zahlungsbereitschaft für Nachrichteninhalte.
Texte, Bilder, Töne und Videos muss ein Nachrichtenangebot heute beinhalten. So wie es ganz natürlich ist, dass die Zeitungen im Netz nicht nur Texte und Fotos bieten, gehen die bestehenden Beschränkungen für die öffentlich-rechtlichen Sender heute schon zu weit, denn reine Fernsehsender oder Radiosender (noch dazu im Bereich Information) sind keinesfalls das, was den Bedürfnissen der Nutzer entspricht.
Deshalb fehlt dem klugen, lesenswerten Kommentar von Roland Pimpl auf horizont.net, in dem gute Argumente gegen die App der „Tagesschau“ angeführt werden, meiner Meinung nach die entscheidende Konsequenz: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört an sich auf den Prüfstand. Gerade weil die öffentlich-rechtlichen Sender neben einigem anderen ein journalistisch anspruchsvolles Programm für verschiedene Medienkanäle produzieren, haben es die Produzenten anspruchsvoller Inhalte so schwer.
Was meint Ihr, ist es an der Zeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich infrage zu stellen?